Geschichten des Wandels

Die Karotte vor unserer Nase:
Erkenntnisse aus dem Ökodorf

von Tobias Bayr

Im September 2016 war ich in Potsdam auf einer Sommerschule zum Klimawandel. Dort habe ich in einem Vortrag gehört, dass wir Menschen im Moment Ressourcen verbrauchen, als ob wir 1,6 Erden hätten, wenn man den Lebensstil unserer westlichen Gesellschaft global leben würde, würden wir sogar 4 oder 5 Erden brauchen, um uns nachhaltig mit Ressourcen zu versorgen. Der „earth overshoot day“, der theoretische Tag, an wir alle Ressourcen für dieses Jahr verbraucht haben, war in 2016 der 8. August. Seitdem leben wir auf Kosten der nachfolgenden Generationen! Und dieser Tag hat sich in den letzten Jahren um einiges nach vorne verschoben, war er noch im Jahr 2000 am 1. November.

Wir haben aber nur eine Erde, was also bedeutet, dass wir im Moment sehr weit von einem nachhaltigen Lebensstil entfernt sind. Wir reden hier nicht von ein paar Prozent, um die wir unsere ökologischen Fußabdruck reduzieren müssen, um nachhaltig zu leben. Es reicht nicht aus, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren statt mit dem Auto oder Ökostrom zu beziehen, auch wenn das wichtige Schritte in die richtige Richtung sind. Und mein Eindruck ist dass wir in unserer westlichen Kultur hoffen, allein durch neue und effizientere Technologie nachhaltig werden zu können; was Teil eines generellen Trends zu mehr Technik ist. Und um ehrlich zu sein, gibt es in mir einen großen Zweifel, ob wir es wirklich auf diesem Weg schaffen können nachhaltig zu werden.

Nach der Theorie auf der Sommerschule habe ich mich auf die Exkursion ins Ökodorf ZEGG gefreut, um ein Beispiel zu erleben, wie ein nachhaltigeres Leben aussehen kann. Achim aus dem Ökodorf hat uns die Pflanzenkläranlage gezeigt, die Holzhackschnitzelheizungsanlage, die essbare Landschaft, mit Kirschen, Pfirsichen, Äpfel, Kiwis, Wein und viele verschiedene Sorten an Beeren. Und er hat uns gezeigt wie sie Terra Preta herstellen, eine sehr nährstoffreiche Erde aus Holzkohle und Kompost, die zugleich noch CO2 aus der Atmosphäre in die Erde bringt. Vieles wird dort mit „Low-Tech“ gemacht, was also jeder auch in seinem eigenen Garten anwenden kann. Das meiste kannte ich aus meiner Zeit, wo ich selbst im ZEGG gelebt habe.

Und dann hat Achim etwas gesagt, dass sich mir ins Gedächtnis eingebrannt hat: In den Gärten von Königen und Adeligen wuchsen früher nur Pflanzen, die man nicht essen konnte, um zu zeigen dass man so reich war, dass man es nicht nötig hatte essen anzubauen. Da fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: Wir in unserer westlichen Kultur versuchen in so vielen Punkten den Lebensstil von Königen und Adeligen nachzumachen, um unseren Reichtum zu zeigen. Wir wollen in unserer eigenen Wohnung, unser eigenem Haus wohnen (My home is my castle), wo ich KönigIn bin, und zugleich ist Einsamkeit ein weit verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft, vor allem in Großstädten. Wir bauen Häuser, die alles automatisch machen und wir das mit unserem Smartphone von überall auf der Welt aus steuern können. Warum? Nur damit wir wie Könige und Königinnen bedient werden? Wir schminken uns, tragen uns Make-up auf. Warum? Um uns zu maskieren wie Könige und Königinnen? Ich mag die natürliche Schönheit des Menschen. Wir sollen Kleidung ohne Löcher tragen. Wenn in der Wirtschaft tätig sind, müssen wir teure Anzüge oder Kostüme tragen. Warum? Nur damit man uns unseren Wohlstand ansieht? Unsere Autos werden immer größer und schwerer und verbrauchen genauso viel oder sogar noch mehr Benzin als vor 10 oder 20 Jahren, obwohl die Motorentechnologie große Fortschritte gemacht hat. Warum? Nur damit ich die größte Karre habe und meinen Reichtum zeigen kann?

Ich könnte noch viele solcher Beispiele bringen, aber ich hoffe, dass das worum es mir geht, klar geworden ist. Nur weil die Könige und Königinnen uns gezeigt haben, was für ein luxuriöser Lebensstil möglich ist, rennen wir kollektiv einer Karotte hinterher und hoffen, dass wir glücklich werden, wenn wir die schöne Villa, das teure Auto, die schicken Klamotten haben. Und diese Karotte wurde uns von Kindesbeinen an durch Märchen, Filme, etc. als kollektives Ideal vor die Nase gebunden. In mir gibt es einen Zweifel, ob das wirklich glücklich macht, denn es wir immer jemanden geben, der eine noch schönere Villa, ein noch teureres Auto, noch schickere Klamotten hat. Und obendrein muss die Natur und der Rest der Welt dafür bezahlen, so wie in früheren Zeiten die Untertanen der Könige und Königinnen. Und so rennen wir der Karotte vor unserer Nase hinterher, ohne zu merken, dass wir geradewegs auf einen tiefen Abgrund zulaufen.

Die Zeit im Ökodorf ZEGG hat mir die Augen geöffnet. Ich sehe, das weniger mehr sein kann, dass es möglich ist nachhaltiger zu leben, ohne das ich meine Lebensqualität einschränken muss. Ich habe eine Sehnsucht nach einen einfacheren Lebensstil, nach Verbundenheit mit der Natur, nach Verbundenheit zu anderen Menschen. Und dafür brauche ich keine Technik, sondern im Gegenteil Technik hindert mich daran. Ich denke dass es gut wäre unseren Lebensstil zu überdenken, zu prüfen, wo ich der Karotte folge, anstatt wirklich meinen eigenen Traum zu leben. Ich denke die wichtigsten Dinge im Leben sind die, die man sich nicht kaufen kann. Ich habe aufgehört, hinter der Karotte herzulaufen und gehe meinen eigenen Weg. Und ich freue mich, dass ich immer mehr Menschen kennenlerne, die auch Stück für Stück aus dem Hamsterrad aussteigen, die einen anderen Weg gehen, die ihren eigenen Weg gehen, die sich nicht so viel aus Geld machen, die konsumkritisch sind, die in Ökodörfern oder anderen Gemeinschaften leben. Es sind Orte wie das ZEGG, die mich inspirieren und meine Hoffnung aufrechterhalten, dass wir den großen Wandel schaffen und die Umweltzerstörung und den Klimawandel so weit abmildern können, damit wir unseren Kindern und Enkelkindern eine lebenswerte Welt hinterlassen.